Hallo zusammen,
Gene Blaser: Da muss man wegen der Geissblatt-Made nicht mal so weit gehen. Atypus piceus ist vermutlich auch aus einer Hybridisierung von Atypus affinis uns Atypus muralis hervorgegangen. Das sieht man an der Zahl der Spinnwarzensegmenten A. affinis hat drei und A. muralis vier Segmente. A. piceus hat zwar auch drei, aber das letzte weist eine Furche auf und es sieht so aus, als sei es zweigeteilt. A. piceus sieht offensichtlich aus wie ein Hybride, ist aber eine fertile Art.
Übrigens gibt es diese Problematik auch bei Brachypelma-Arten. Die Verbreitungsgebiete sind sympatrisch und deshalb gibt es bei den Überschneidungszonen ständig Hybriden. Und sie sind auch fertil.
Das Problem nun ist eher die ganze Idee von "Arten". Ich habe während meines kurzzeitigen Philosophiestudium in der Uni Zürich ein Definitionsseminar besucht. Dort ging es darum herauszufinden, wie man was definiert. Bzw. Was eine Art (Spezies) ist und was nicht. Und das war nicht im biologischen Sinne zu verstehen. Ab wann ist eine Flasche eine Flasche beispielsweise. Und wie definiert man nun "Flasche". Die Philosophen zurückgehend auf Sokrates haben sich genau mit dieser Frage beschäftigt. Eine Lösung war dieser Definitionssatz "Genus proximum et differentia specifica". D.h. man nehme die übergeordete Gattung/Genus proximum (bsp. Gefässe) und bezeichne den artspezifischen Unterschied/differentis specifica (bsp. langhalsig). Somit wäre also die Art der Flasche definiert als "langhalsiges Gefäss". Die Art des Menschen definierten die Griechen als "zoon logon echon". Zoon (=Lebewesen) war die Gattung und "logon echon" (=Verstand haben) der spezifische Unterschied zu anderen Lebewesen. Die Art des Menschen war also definiert als ein Lebewesen, das Verstand hat. Wenn man nun den biologischen Artbegriff übersetzt, sieht man, dass man da nicht weit davon entfernt ist. Homo sapiens heisst der "wissende Mensch". Man hat nur die Gattung von "Lebewesen" auf "Mensch" gewechselt.
Das System der Artdefinition hat man (vor der Evolutionstheorie) auf die Biologie übertragen. Man ging davon aus, dass die Natur in Arten aufgeteilt ist. Steinarten, Tierarten, Pflanzenarten, etc. wie es auch andere Dinge in Arten gibt: Tugendarten, Gefässarten, etc. - Und so übertrug man das System der Arten und der Artdefinintion auf die Biologie.
Heute weiss man aber, dass es diese Arten in diesem Sinne in der Natur nicht gibt. Das ganze ist in einem evolutionären Fluss. Die Lebewesen passen sich per Divergierung und natürlicher Auslese immer besser einer bestimmten ökologischen Nische an. Daraus gibt es diverse Verwandtschaftsbeziehungen und die Arten sind somit auch nicht stabil. Das lässt sich mit bisheriger Artsystematik aber nicht mehr korrekt mit dem Artbegriff abbilden. So sehen die Arten Nhandu coloratovillosus, Nhandu chromatus, Nhandu tripepii wie gleichberechtigte Arten nebeneinander aus. Wenn man nun genetisch überprüft, scheint Nhandu coloratovillosus stärker mit Nhandu tripepii verwandt zu sein als mit Nhandu chromatus. Das sehe ich vom Artnamen aber nicht. Ebenso ist die weitere Systemtik unscharf. Eine Tierfamilie und eine Pflanzenfamilie ist zwar systematisch auf der gleichen Ebene, aber über die Stärke in der Verwandtschaft ist damit noch nichts ausgesagt.
Und darum möchte ich bitten, dass man da zwei Dinge nicht vewechselt: Die Natur (der Lebewesen) und die Systematik. Die Natur hält sich nicht an unsere Art, Gattung, Familienbegriffe, etc. sondern ist im ständigen Wandlungsfluss. Die Systematik der Art-, Gattungs-, Familiennamen, etc. ist etwas künstlich darüber gelegtes, das vor allem dazu dient, sich einen Überblick zu verschaffen und das ganze systematisch zu erfassen. Es ist bloss eine Perspektive darauf. Und über Systematik kann man sich immer streiten und wie man nun den Artbegriff definieren will. Meiner Vogelspinne im Terrarium ist es aber umgekehrt egal, zu welcher Art sie gehört. Entweder sie kann sich mit einem Männchen paaren und einen Kokon produzieren, oder sie kann es nicht. Ob das Männchen nun zu ihrer "Art" gehört oder doch bloss zu einer verwandten "Art" oder doch zu ihrer Art aber zu einer anderen "Rasse", ist der Spinne herzlich egal.
Beste Grüsse,
Micha
Ps. Europäer sind ja auch im biologisch-systematischen Sinne eigentlich keine reinartigen Lebewesen, sondern Hybriden: http://www.welt.de/wissenschaft/article124355327/Ein-bisschen-Neandertaler-steckt-in-jedem-von-uns.html
Ps. 2. Die Artbildung ist nicht baumförmig, d.h. etwas das sich immer konstant und sauber verästelt. Es kommen da alle möglichen Zufälligkeiten dazu. 1. Es haben sich zwei Populationen separiert in zwei separaten Gebieten und die ökologischen Nischen sind unterschiedlich. Es bilden sich langsam eigene Unterarten (Rassen) oder noch länger Arten hervor. Die Lebewesen unterscheiden sich morphologisch eindeutig. Und aus irgend einem Grund fallen die geografischen Gebiete wieder zusammen. Dann gibt es wieder eine Vermischung der Arten. 2. Innerhalb eines Verbreitungsgebietes gibt es eine Unterscheidung der ökologischen Nischen (südlich ist es wärmer und nördlich ist es kälter) und so bilden sich in einer gleichen Art mit zusammenhängendem Verbreitungsgebiet trotzdem morphologsiche Unterschiede heraus. Nennt man dann Unterarten. Ein gutes Beispiel ist ja der Mensch. Er hat im Norden bei weniger Lichteinfall den natürlichen Sonnenschutz der Haut abgebaut um genügend Vitamin D zu produzieren und ist hellhäutig geworden. Als der Homo sapiens nach Europa gekommen ist, hat er sich nicht nur verändert in dem hellhäutigere Menschen die besseren Überlebenschancen hatten und in Folge sämtliche Individueen hellhäutig wurden, er traf sogar auf eine viel früher in Europa dagewesene Menschenart (Neandertaler), der nun vom Knochenbau anders aufgebaut war. Er hat sich mit ihm vermischt und es gab fertile Nachkommen. Da war also bei uns nicht nur eine Unterartenbildung, sondern eine Hybridisierung im Gange. Trotzdem sind wir immer noch näher mit den schwarzen Afrikanern verwandt als mit den Neandertaler. - Und über diese Effekte möchten nun die Systematiker eine klare abgegrenzte baumförmige Systematik drüberlegen. Ich hoffe man versteht nun die Problematik. Die Natur hält sich nun mal nicht an diese Systematik.