Homoeomma - eine historische Detektivarbeit

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  • Guten Abend allerseits :)


    Da ich nun seit gut 9 Stunden das Internet durchwühle, da ich eine Antwort auf eine vermeintlich leichte Frage suche, muss ich meinen Leidensweg einfach mal mit euch teilen.
    Ich bin heute um 07:30 aufgestanden und hatte spontan wieder die Thematik um Homoeomma sp. Blue Peru II und Thrixopelma cf. lagunas im Kopf.
    Wenn man mal annimmt, dass es sich dabei um ein und die selbe Art handelt, stellt sich natürlich die Frage, welche von beiden Bezeichnungen eher zutrifft und damit, auch wenn wissenschaftlich nicht beschrieben, in welche Gattung diese Art gehört.
    Hierzu wäre wohl am ehesten zu überprüfen, ob die Art die Kriterien der Gattung Homoeomma oder Thrixopelma erfüllt. An dieser Stelle kam nun die Frage auf, die mich den ganzen Tag beschäftigt hat: "Wo liegt das Typusmaterial für Homoeomma und Thrixopelma?"
    Für Thrixopelma war das leicht zu klären. WSC auf, Thrixopelma gesucht und siehe da: T. ockerti ist als Typusart markiert. Nun stellte sich zwar heraus, dass Schmidt wie gewöhnlich nur mit Exuvien gearbeitet hat und dass der weibliche Holotyp (bis jetzt und spätestens seit Schmidts Tod wohl auch in Zukunft nicht mehr) nicht wie angegeben im Senckenberg Institut deponiert worden ist, aber wenigstens die beiden Exuvien sind in der Datenbank. Darüber hinaus wäre zu klären, ob wenigstens das konservierte Männchen in Karlsruhe ankam, aber das ist an dieser Stelle nicht das Thema.


    Als ich selbiges Vorgehen bei Homoeomma vollzog, wurde ich stutzig. Die Gattung wurde 1871 von Ausserer aufgestellt, aber die Typspezies H. stradlingi wurde erst 1881 beschrieben, wie geht das denn?
    Zunächst ging ich von einer simplen Antwort aus, wie dass die ursprüngliche Typspezies in eine andere Gattung transferiert wurde und man Homoeomma mit einer der anderen Spezies neu aufgestellt hätte oder ähnliches, aber so einfach scheint es nicht zu sein, denn die ursprünglich von Ausserer beschriebene Spinne steht noch immer in dieser Gattung.
    Des Rätsels Lösung wirft dabei aber wiederum mehr Fragen auf als sie beantwortet.
    Dass H. stradlingi statt H. nigrum zur Typspezies wurde, geht wohl auf Simon 1892 zurück, welcher die von Ausserer aufgestellte Kombination Homoeomma versicolor wohl für einen Fehler hielt und daraufhin H. stradlingi als Typspezies betrachtete.
    An dieser Stelle beginnt die Sache kurios zu werden. 1837 beschrieb Walckenaer einige Theraphosidae, darunter Mygale versicolor und Mygale nigra. 1871 beschrieb Ausserer die Kombination Homoeomma versicolor und betrachtete sie als Synonym von Mygale versicolor, die Koch zwischenzeitlich als Lasiodora versicolor bezeichnete.
    Ob Ausserer dabei tatsächlich Material von Walckenaer untersuchte ist unklar, da er darüber keine Angaben macht. Er verweist lediglich auf Männchen und Weibchen, die von der Novara-Expedition mitgebracht wurden, welche aber erst 7 Jahre nach Walckenaers Tod wieder in Trieste anlegte. Wenn dies zutreffend ist, wäre anzunehmen, dass das von Ausserer erwähnte Material nicht identisch mit dem von Walckenaer ist und folglich anderswo noch existieren könnte, vermutlich in Wien, wo ein Großteil des Materials der Novara-Expedition lagert und wo Ausserer auch gearbeitet hat, dazu müsste man in Wien anfragen.
    10 Jahre später beschrieb Pickard-Cambridge H. stradlingi und betrachtete Mygale versicolor als Synonym und folglich auch H. versicolor, wobei er dies selber mit Fragezeichen kennzeichnete. Warum genau lässt er unerklärt, vielleicht weil er keinen Zugang zu Ausserers Material hatte?
    Nocheinmal 23 Jahre später findet R.I. Pocock ein Exemplar von Walckenaers Mygale nigra und betrachtet dies als identisch mit H. versicolor sensu Koch und H. stradlingi.
    1972 greifen Gerschman&Schiapelli das Thema wieder auf und stellen Mygale versicolor sensu Koch, H. stradlingi und H. nigrum als Synonyme hin. An dieser Stelle muss man fragen, warum sie die Art als H. stradlingi bezeichnen und wieso Mygale nigra nicht als Synonym geführt wird, obwohl H. nigrum identisch mit dieser ist. Ebenso ist es fraglich, warum im WSC an dieser Stelle darauf verwiesen wird, dass Gerschman&Schiapelli H. stradlingi aus der Synonymität mit H. nigrum enfernt hätten, obwohl diese eindeutig als Synonym geführt wird.
    In diesem Fall dürfte es nämlich nicht beide Arten geben und H. nigrum müsste Priorität über H. stradlingi haben, da Mygale nigra eindeutig der älteste Name ist. So führt auch Smith 1986 die Gattung auf.
    Damit wäre zumindest die Frage geklärt, was jetzt wohl die Typspezies von Homoeomma ist. Allerdings ist nicht klar, ob diese Synonyme in dieser Weise korrekt sind, denn das ursprüngliche Problem geht ja zurück auf Mygale versicolor. Von dieser Art wurde ein Syntypus hinterlegt, der allerdings nicht zur selben Art zu gehören scheint. Ein Teil der Typenserie wurde in Avicularia transferiert und kürzlich weiter in Caribena, der andere Teil wurde als Mygale versicolor sensu Koch über Lasiodora letztlich von Ausserer in Homoeomma gestellt und später wie ausgeführt als Synonym von H. stradlingi und H. nigrum betrachtet.
    Leider ist der Syntypus von Mygale versicolor laut Fukushima&Bertani verloren, so dass nicht mehr nachvollzogen werden kann, wie der Verlauf an dieser Stelle war. Um jedoch endgültig zu klären, ob die dargestellte Synonymität von Mygale nigrum, H. stradlingi und H. versicolor korrekt ist, müsste man das Material lokalisieren, das Ausserer 1871 verwendete sowie die 2 Männchen von M. versicolor sensu Koch und das Weibchen von Pickard-Cambridge 1881 und das laut Pocock im British Museum deponierte Männchen von Mygale nigrum, und diese dann jeweils miteinander abgleichen. Solange kann nicht einmal mit Sicherheit gesagt werden, was überhaupt die korrekte Typspezies dieser Gattung ist.



    Das ist also das Ergebnis meiner heutigen Detektivarbeit auf der Suche nach der Wahrheit im Staub der Geschichte. Der nächste Schritt wäre nun die Kontaktaufnahme mit dem British Museum of Natural History in London, um zu erfahren, ob das von Pocock erwähnte M. nigrum Männchen noch dort deponiert ist und ob evtl. das Material von Pickard-Cambridge dort zu finden ist, mit dem Oxford University Museum of Natural History, um herauszufinden ob dort in der Pickard-Cambridge-Sammlung das Material von eben jenem liegt, sowie dem naturhistorischen Museum Wien, ob das von Ausserer erwähnte Material der Novara-Expedition dort zu lokalisieren ist.


    Und dabei wollte ich eigentlich nur wissen, was die passendere Bezeichnung für unser Hobbymaterial ist 8|


    LG
    Ananias


    Literatur:
    Ausserer 1871: http://www.wsc.nmbe.ch/reference/411
    Pickard-Cambridge 1881: http://www.wsc.nmbe.ch/reference/667
    Gerschman&Schiapelli 1972: http://www.wsc.nmbe.ch/reference/4317
    Simon 1892: http://www.wsc.nmbe.ch/reference/948
    Pocock 1903: http://www.wsc.nmbe.ch/reference/1302
    Smith 1986: http://www.wsc.nmbe.ch/reference/6313

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    Carpe noctem.

  • Hi Ananias,


    guter Beitrag. Schade hast du ihn nicht in den bereits vorhandenen Thread "Homoeomma sp.Blue Peru 2" (Systematik+Taxonomie) eingefügt. Jetzt gibt es 2 Threads für das gleiche Thema. Wären deine neuen Überlegungen und Nachforschungen im 1. Thread platziert worden, wäre es auch für "Aussenstehende" einfacher nachzulesen, über was wir uns den Kopf zerbrechen und zwar seit 2015.


    Gruss Gene

    Das Problem dieser Welt ist, dass die intelligenten Menschen so voller Selbstzweifel und die Dummen so voller Selbstvertrauen sind.
    Charles Bukowski

  • Guten Abend,


    naja, in meinen Augen ist es nicht das gleiche Thema. Es besteht natürlich ein wesentlicher Zusammenhang, aber es geht ja nicht unbedingt nur um Homoeomma sp. Peru Blue. Diese Thematik könnte bspw. auch bei den als Homoeomma bzw. Euathlus sp. "Red"/"Fire" gehandelten Tieren relevant sein.


    Ich habe tatsächlich eine Zeit lang überlegt, ob ich das in den Homoeomma Blue Thread posten soll, mich aber dann unter anderem wegen oben genannter Gründe dagegen entschieden. Ein weiterer Grund ist, dass ich es für wahrscheinlicher halte, dass jeder, der sich hierfür interessieren könnte und in den Homoeomma Blue Thread guckt AUCH hier rein guckt, als dass jemand den das hier interessieren könnte aber die Homoeomma sp. Peru Blue nicht, dort reinschaut.


    LG
    Ananias

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  • Hallo!


    Zitat

    ....Ob Ausserer dabei tatsächlich Material von Walckenaer untersuchte ist unklar, da er darüber keine Angaben macht. Er verweist lediglich auf Männchen und Weibchen, die von der Novara-Expedition mitgebracht wurden, welche aber erst 7 Jahre nach Walckenaers Tod wieder in Trieste anlegte.
    Wenn dies zutreffend ist, wäre anzunehmen, dass das von Ausserer erwähnte Material nicht identisch mit dem von Walckenaer ist und folglich anderswo noch existieren könnte, vermutlich in Wien, wo ein Großteil desMaterials der Novara-Expedition lagert und wo Ausserer auch gearbeitet hat, dazu müsste man in Wien anfragen.


    M. versicolor, WALKENAER 1837 ( > Caribena versicolor (Walckenaer, 1837)) wird nicht als synonym mit M. versicolor, KOCH 1842 angesehen.
    KOCH gibt in seiner Beschreibung Brasilien als Herkunft an und verweist darauf, dass abweichend dazu WALKENAER Guadeloupe und Martinique als Herkunft angibt.


    Zitat

    ...10 Jahre später beschrieb Pickard-Cambridge H. stradlingi und betrachtete Mygale versicolor als Synonym und folglich auch H. versicolor, wobei er dies selber mit Fragezeichen kennzeichnete. Warum genau lässt er unerklärt, vielleicht weil er keinen Zugang zu Ausserers Material hatte?


    Um den Unterschied zwischn M. versicolor, WALKENAER 1837 und M. versicolor, KOCH 1842 kenntlich zu machen beschreibt PICARD-CAMBRIDGE 1881 den Gattungstypus unter neuen Namen, H. stradlingi. Er nimmt dabei an das sein Material mit dem von KOCH identisch ist ("It seems to me that this Spider is of the same species as two
    Brazilian males in my collection of Mygate versicolor, C. L. Koch, of which the male only has, as yet, been described.") und merkt nochmals an "Mygale versicolor, C. L. Koch (non Walck.).".
    Er kennzeichnet dabei nur die Quellenangabe von AUSSERER mit dem Fragzeichen "Homoeomma versicolor, Auss. ?".


    Zitat

    ...Nocheinmal 23 Jahre später findet R.I. Pocock ein Exemplar von Walckenaers Mygale nigra und betrachtet dies als identisch mit H. versicolor sensu Koch und H. stradlingi.
    1972 greifen Gerschman&Schiapelli das Thema wieder auf und stellen Mygale versicolor sensu Koch, H. stradlingi und H. nigrum als Synonyme hin. An dieser Stelle muss man fragen, warum sie die Art als H. stradlingi bezeichnen und wieso Mygale nigra nicht als Synonym geführt wird, obwohl H. nigrum identisch mit dieser ist. Ebenso ist es fraglich, warum im WSC an dieser Stelle darauf verwiesen wird, dass Gerschman&Schiapelli H. stradlingi aus der Synonymität mit H. nigrum enfernt hätten, obwohl diese eindeutig als Synonym geführt wird.


    Auch GERSCHMAN & SCHIAPELLI vermerken zunächst einmal bei Quellen zu M. versicolor, L. versicolor und H. versicolor jeweils "...(non Walkenaer)...".


    Zu M. nigrum erklären sie eindeutig, dass sie den Typus im BMNH untersucht haben.
    Im Ergebnis haben sie feststellt, dass es sich zwar um ein Weibchen der Gattung Homoeomma handelt, da es sich aber in einem schlechten Zustand befindet (insbesondere die Spermathek) kann es nicht weiter berücksichtigt werden.
    Ihre Auflistung der verwendeten Literatur unter H. stradlingi in der auch "1903. Homoeomma nigrum: Pocock, Ann. Mag. Nat. Hist. (VII) XI: 111. Syn." aufgeführt ist, würde ich deshalb nicht so verstehen, dass sie Mygale versicolor sensu Koch, H. stradlingi und H. nigrum als Synonyme hin stellen wollten.


    Zitat

    ...In diesem Fall dürfte es nämlich nicht beide Arten geben und H. nigrum müsste Priorität über H. stradlingi haben, da Mygale nigra eindeutig der älteste Name ist. So führt auch Smith 1986 die Gattung auf. Damit wäre zumindest die Frage geklärt, was jetzt wohl die Typspezies von Homoeomma ist.


    Da der Typus von H. nigrum nur dieses eine Weibchen in schlechten Zustand ist, läßt sich die Synonymisierung von POCOCK (H. nigrum syn H. stradlingi) nicht zweifelsfrei belegen. Außerdem wäre es schwierig anhand dieses Materials Merkmale der Gattung zu definieren.
    Deshalb wird offenbar H. stradlingi (bei der beide Geschlechter bekannt sind) allgemein als Typus der Gattung anerkannt.
    Bei H. nigrum gab es schon Überlegungen sie als species inquirenda zu führen.

    Einmal editiert, zuletzt von Steffen Esche ()

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